Fortsetzung des Grußwortes von unserem 1. Vorsitzenden aus den LH Mitteilungen
Inklusion am Arbeitsmarkt
Wer meine Hoffnung und Sorgen bei der Umsetzung der Inklusion in diesem Lebensbereich verstehen will, dem empfehle ich
- zum einen das Lesen des am 16.09.2022 verabschiedeten Positionspapiers der Bundesvereinigung Lebenshilfe e.V. „ Auf dem Weg zu inklusiver Arbeit und gerechter Entlohnung für Menschen mit geistiger Behinderung“. Dieses 13seitige Papier liegt zudem als Zweitversion in Leichter Sprache vor ! Positionspapier
- zum anderen das Lesen der nur dreiseitigen „Erfurter Erklärung für einen inklusiven Arbeitsmarkt 2030“ der 17 Beauftragten des Bundes und der Länder vom 04.11.2022, endend mit dem Satz „ - fordern Bund, Länder und Kommunen auf, unter Berücksichtigung des vorgenannten Konzeptes …. ……………. die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen für einen inklusiven Arbeitsmarkt bis 2030 zu schaffen, in dem Werkstätten insbesondere Orte des Übergangs von Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt sind.“ Erfurter Erklärung
Wer selbst über die Jahrzehnte als Eltern, Angehörige, Betreuer usw. eines geistig behinderten Menschen erlebt hat, wie in Kindheit und Jugend noch Vieles möglich erscheint, mit dem Eintritt in die Arbeitswelt die besondere Lebensproblematik des Menschen mit geistiger Behinderung dann aber zunimmt: Erleben seiner Grenzen, schnellerer Alterung, zunehmender Störanfälligkeit usw. …. fürchtet mit Recht die Realität im allgemeinen Arbeitsmarkt. Seit 1974 besteht das SchwbG bzw. seit 2001 SGB IX, Teil 2. Danach sind Unternehmen/Organisationen mit mind. 20 Arbeitnehmern zu einer Schwerbehinderten-Beschäftigungquote von mindestens 5% verpflichtet. Dabei denkt man vornehmlich nicht an die 320.000 überwiegend mit geistigen Beeinträchtigungen in Werkstätten !! Trotzdem haben lt. letzter vorliegenden Statistik der Bundesagentur von den 173.326 gesetzlich verpflichteten Unternehmen 25,8% keinen einzigen schwerbehinderten Menschen, 34,7% nur teilweise und zahlen wie die 25,8% Organisationen für die an 5% fehlenden Prozente eine (zu niedrige) Ausgleichabgabe. Lediglich 39,5% erfüllen die Mindestbeschäftigungsquote.
Bei diesen Zahlen legt auch der DGB (Dez. 2019 mit nicht „besseren“ Zahlen als heute) unter Berufung auf die UN-Behindertenrechtskonvention seine Forderungen/Vorschläge zu einem inklusiven allgemeinen Arbeitsmarkt vor - angesichts von über drei Millionen (nicht geistig behinderten) Schwerbehinderten im Erwerbsleben. Wenn in der Erfurter Erklärung tatsächlich festgehalten wird, dass die Werkstätten in den letzten Jahrzehnten noch nicht einmal 1% pro Jahr in den allgemeinen Arbeitsmarkt entwickelt haben, dann darf man sich schon fragen, ob das wohl eher am allgemeinen Arbeitsmarkt liegt und an unserer selektiven Gesellschaft.
Inklusion in Kitas hat, zurückblickend auf die ersten integrativen Kitas bis heute schon 25 Jahre gedauert; Inklusion in/an Schulen wird seit zehn Jahren betrieben – mit zu geringer finanzieller Ausstattung und bescheidenem Erfolg. Selektiv ist unser Schulsystem, spätestens nach der Grundschule noch immer – je nach Argumentation angreifbar, aber auch verteidigenswert.
Die Lebenshilfe versteht sich schon immer als Vertretung der Interessen von Menschen mit geistiger Behinderung, die sich nicht oder nur unzureichend selbst vertreten können. Diese Menschen benötigen weiterhin unsere Unterstützung und auch den Schutz in einer (noch) nicht inklusiven Gesellschaft und deren allgemeinem Arbeitsmarkt. Inklusion darf nicht dahingehend verstanden werden, dass wir sie auch an den Nachteilen teilhaben lassen.